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Außergewöhnliche Werke und Jubiläums-Veröffentlichungen in teilweise sehr aufwendigen Packages hat es von der deutschen Independent-Institution Deine Lakaien in der Vergangenheit schon immer gegeben, man denke nur an die 3DVD/2CD-Mediabook-Veröffentlichung von „20 Years of Electronic Avantgarde“ oder die liebevoll zusammengestellte und mit reichhaltig unveröffentlichtem Material abgerundete 4CD-Box zum 30-jährigen Jubiläum.
Mit ihrem im Frühjahr dieses Jahres erschienenen Doppel-Album „Dual“ haben Alexander Veljanov und Ernst Horn allerdings noch einmal die Messlatte ein gutes Stück höher gelegt. Was bei all der anspruchsvoll gestalteten und üppig dekorierten Verpackung aber vor allem nachhallt, ist die musikalische Umsetzung eines mehr als ambitionierten Projekts, nämlich die Gegenüberstellung von zehn ausgewählten Cover-Songs auf einem Album und zehn eigenen Kompositionen, die jeweils konkret zu diesen Tracks kreiert worden sind. Sobald diese Idee in die Tat umgesetzt wurde, hat das charismatische Duo allerdings eine solche Fülle an Material produziert, dass nun mit „Dual +“ ein weiteres Album erscheint, wobei teilweise das Konzept von „Dual“ fortgeführt wird, ohne sich dabei auf die strikte Paarung von Cover-Songs und eigenen Liedern zu beschränken.
„Wir hatten die Idee entwickelt und uns ans Werk gemacht, und am Ende war es tatsächlich so, dass wir 32 fertige Songs hatten“, blickt Ernst auf die Anfänge der Produktion zurück. „Die Auswahl der Cover-Songs lag zu großen Teilen in Alexanders Händen. Er entschied letztlich auch überwiegend, welche Songs davon auf die ,Dual‘ kommen sollten. Da hat er einfach auch mehr den Überblick, während ich eher in der Produktion drinstecke. Die Frage nach den Singles floss dann natürlich auch in die Zusammenstellung von ,Dual‘ ein, aber es war keineswegs so, dass auf ,Dual‘ alle Hits vereint werden sollten und ,Dual +‘ die Resterampe darstellt. Vielleicht klingt ,Dual +‘ etwas experimenteller, aber das ist wohl eher dem Zufall geschuldet.“
Bereits mit der ersten Single-Paarung haben Deine Lakaien den Beweis angetreten, dass „Dual +“ seine absolut eigenständigen Qualitäten aufweist. Als verführerischen Prolog zum Cover von Pink Floyds „Set The Controls For The Heart Of The Sun“ haben Alexander und Ernst mit „Nightfall“ einen wunderbar psychedelisch angehauchten Song mit hypnotisch pochendem Beat und wehmütig klingendem Refrain kreiert, der in dem minimalistisch arrangierten, mit Alexanders teils flüsterndem Gesang vorgetragenen Pink-Floyd-Stück seine konsequente Fortführung findet.
Eingeleitet wird „Dual +“ allerdings durch ein herzerwärmendes Wiegenlied. „Cradle Song“ stellt ein typisches Deine-Lakaien-Stück dar, mit zarter, akustisch anmutender Untermalung und Alexanders den Text betörend-beruhigend vortragender Stimme. Zusammen mit dem abschließenden „Wiegenlied“ des einflussreichen russischen Komponisten Michael Glinka (1804-1857) ist eine musikalische Klammer entstanden, die dem sehr abwechslungsreichen Album einen stimmungsvollen Rahmen verleiht. Zwischen diesen beiden liebevollen Schlafliedern entfaltet sich allerdings ein vor Experimentierlust prickelndes Potpourri, in dem Ernst Horn seine frühmusikalischen Wurzeln in der psychedelischen Musik ebenso auslebt wie in der New Wave-/Post Punk-Szene.
So stellte die letzte zusammenhängende Konstellation von Cover-Song und Eigenkomposition auf „Dual +“ auch für Alexander eine besondere Herausforderung dar. „Mr. DNA“ von Devo ist interessanterweise nur ein Teil des sechsminütigen Doppelsongs „Smart Patrol/Mr. DNA“ ihres 1979 veröffentlichten zweiten Albums „Duty Now For The Future“, wobei der sehr existentialistische Text zur Fehlkonstruktion der menschlichen Rasse in einem rasend schnellen Sprechgesang vorgetragen wird. „Der intellektuelle Electro-Punk von Devo war immer Ernsts große Leidenschaft. Ich habe Devo auch immer gerne gehört, aber das STÜCK hat ja weniger mit Gesang zu tun, sondern eher mit Shouting“, bemerkt Alexander. „Ernsts Arrangement steht in der langen Tradition experimenteller Lakaien-Stücke, die in unserer Geschichte immer wieder auftauchen. Ich habe es gern versucht, und Ernst hat sich gefreut, dass ich es interpretiert habe.“
Veljanov fährt fort: „Viele Songs der Produktion waren auf Schönklang und Reichtum im Arrangement und Vielfarbigkeit bedacht, und das hier ist so hingerockt, ähnlich wie Suicide ihre ganz eigene Art von Electro-Rock’n’Roll produziert haben – und Ernst Horn macht es nun mal so, wie er es macht. Das ist sicher ein Alleinstellungsmerkmal.“
Zwar bezieht sich der darauffolgende Song „Altruist“ auf den „altruistic pervert“ aus „Mr. DNA“, schlägt aber deutlich besinnlichere, nachdenklichere Töne an. „Es gibt ja so Menschen, die für andere leben und dann auch entsprechend ausgenutzt werden und sich da auch nicht wehren können, weil sie dann ein Schuldgefühl bekommen, wenn sie einen eigenen Wunsch formulieren sollen“, erläutert Ernst. „Es ist ein Lied über einen Menschen, der versucht hat, es allen rechtzumachen, und daran zugrunde gegangen ist.“
Nach diesem zwar sehr melancholischen, aber auch verspielt experimentierfreudig instrumentierten Song lassen es Deine Lakaien mit dem überdreht witzigen, scheppernd galoppierenden „Fork“ ebenso krachen wie schon in der Mitte des Albums mit „Self-Seeker“, das zu einem nicht veröffentlichten Cover-Song entstanden ist und thematisch eine Abrechnung mit einem selbstsüchtigen Menschen darstellt.
Besondere Aufmerksamkeit auf „Dual +“ stellen zwei Songs dar, die einmal mehr die Vielseitigkeit und Einzigartigkeit der Band unter Beweis stellen. Mit „Run (2nd Version)“ präsentieren Ernst und Alexander eine akustische Variante ihrer Single „Run“, die auf ihrem Vorgänger-Album „Dual“ als Gegenstück zu dem The-Cure-Klassiker „The Walk“ entstanden war. Die neue Version wirkt mit dem sanften Piano-Intro, den exotischen Rhythmen und der Streicher-Untermalung ganz anders als das Original, ist aber erst sehr spät entstanden und hätte es fast nicht auf das neue Album geschafft. „Als wir sie dann gemacht haben, stellten wir fest, dass die neue Version dem Song noch mal eine ganz andere Facette, einen ganz anderen Charakter verleiht im Gegensatz zur elektronisch dominierten Erst-Version“, meint Alexander. „Diese akustischere Version gibt dem Song doch noch einen ganz eigenen Dreh, was wir sehr spannend fanden. Obwohl der Gesang auf der zweiten ,Run‘-Version derselbe geblieben ist wie auf der ursprünglichen, hört sich das subjektiv für mich so an, als hätte ich den Song ganz anders eingesungen.“
Eine weitere Überraschung präsentieren Deine Lakaien mit ihrer Version des R.E.M.-Klassikers „Losing My Religion“, die auch durch eine einsame Piano-Melodie eingeleitet wird, ehe Alexander, der den Song ausgewählt hat, mit seinem fast schon wehklagenden Gesang das Klangbild bestimmt. „Ich wäre von selbst nie auf den Song gekommen“, gibt Ernst zu. „Aber das war auch das Spannende an dem Album. Man lässt sich erst einmal auf die Sachen ein. Ich fand es dann ganz erstaunlich, wie sich der Sänger in dem Lied immer wiederholt, und das ist ein ganz anderer Aufbau als bei unseren Songs. Im Original höre ich da so etwas Manisches heraus. Es ging gar nicht so darum, aus den ganzen Songs etwas Deine-Lakaien-Mäßiges zu machen, sondern sich auf etwas einzulassen, das einfach anders ist.“
„Ich finde, wir haben dem Lied einen ganz eigenen Charakter verliehen, der viel strenger und viel weniger lieblich ist als im Original, auch durch die klassische Herangehensweise von Ernst mit der klavierbetonten Note, die aber nicht in Richtung Piano-Ballade, sondern eher in die experimentelle Richtung geht. Da wird das Klavier fast zur musikalischen Nähmaschine, die den melancholischen, klagenden und rastlosen Gesang des Liedes geradezu anpeitscht“, ergänzt Alexander. „Das ist ein starker Kontrast, und wir haben lange darüber diskutiert, ob man das so machen kann. Aber jetzt haben wir es so gemacht und wir sind sehr gespannt auf die Reaktionen, die sicherlich sehr unterschiedlich ausfallen werden, weil es so ein zeitloser Hit ist.“
Der Aspekt der Zeitlosigkeit erstreckt sich letztlich über den kompletten „Dual“-Zyklus mit seiner imponierenden Auswahl an Cover-Versionen, die in der klassischen Musik ebenso verwurzelt sind wie im französischen Chanson und dem psychedelischen Pop-Rock, der avantgardistischen New Wave und dem amerikanischen Rock.
Mit „Dual +“ präsentieren Deine Lakaien nun eine weitere feine Sammlung von eigenwilligen Cover-Versionen, dazugehörigen oder auch selbstständigen Eigenkompositionen und einem Remix, die die spektakuläre musikalische Bandbreite des Duos in all ihren Facetten offenbart und einmal mehr die eingeschworene Fangemeinde auf eine außergewöhnliche Reise entführt.
Dirk Hoffmann
Tracklist
01. Cradle Song
02. Nightfall
03. Set the Controls for the Heart of the Sun (Pink Floyd cover)
04. Self-Seeker
05. Run 2nd Version
06. Losing My Religion (R.E.M. cover)
07. Mr. DNA (DEVO cover)
08. Altruist
09. Fork
10. Wiegenlied (trad., Michail Iwanowitsch Glinka)
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